Victor Smolski

Verfasst am 13. Oktober 2014 von Gringer (Kategorie: Interviews) — 2.046 views

Interessante Menschen dürfen gern schon zu Lebzeiten Ihre Biographie schreiben.
Victor Smolski – Gitarrenvirtuose der deutschen Metal-Institution Rage – gehört ganz klar dazu!
Jüngst ist mit „Straight To Hell Or To Paradise“ (s)eine sehr ungewöhnliche Biographie über den gebürtigen Weißrussen erschienen.
Redakteurin Linda traf sich mit Victor im Vorfeld des Rage-Auftritts im Colos-Saal, um mit ihm über die Person „Victor“ zu sprechen…

Metal-Aschaffenburg: Erstmal herzlichen Glückwunsch zu deinem gelungenem Buch!

Victor Smolski: Danke!

Auf welcher Initiative hin ist das denn entstanden?

Normalerweise wollte ich das nicht machen und ich habe auch nie geplant, so was zu machen. Ich habe irgendwann geplant ein Notenbuch zu machen, also mit Tabs und Lyrics.
Ich habe dann Anfragen aus Berlin gekriegt, dass sie gern ein Buch mit mir machen wollen und ich habe denen immer wieder gesagt, dass ich keinen Bock habe und es sehr lange verschoben. Aber irgendwann haben sie dann so genervt und auch einen Autor in München gefunden, der das gerne machen würde. Da ich gerade etwas Zeit hatte, habe ich mein OK gegeben, es zu probieren, aber ohne Garantie, dass irgendwas draus wird. Wir haben angefangen, aber wenn es komisch geworden wäre, hätte ich abgebrochen. Ich wollte keine Biographie haben in dem Stil „von-bis“.

Victor Smolski Straight To HellNein, ist nicht wirklich eine Biographie geworden.

Nein, sondern vielmehr ein Gespräch über alles. Und so wollte ich das auch machen. Einfach ein paar Sachen erzählen. Der Autor Axel (Werbach, Anm. d. Red.) hat dann dieses Konzept vorbereitet und ich fand‘ das ganz interessant. Die Verbindung von Klassik und Metal, East and West, die Unterschiedlichen Kulturen. Eben ganz anders, als sonst die Biographien aufgebaut sind.
Auch die vielen Fotos und der Notenteil im Anhang ist sehr interessant geworden. Ich merk schon jetzt, wie gut das läuft und bin total überrascht.

Wie lange hat die Arbeit im Vorfeld gedauert?

Das hat sich schon hingezogen. Ein halbes Jahr intensiv. Und zwischendurch habe ich immer wieder die Noten geschrieben für den Anhang. Es war am Ende schon viel Arbeit. Und zum Schluss war’s wirklich voll stressig. Also es ist schon anstrengend, so was zu machen.

Du stehst ja drauf.

Ja, in dem Moment, wo ich entschieden habe, dass wir das wirklich machen, dann wollte ich es schon so gut wie möglich durchziehen.

Du wirkst nach außen als der Gentleman schlechthin, aber man liest im Buch, dass du auch anders kannst.

Ich sage immer, was ich denke und manchen Leuten passt das nicht.
Wenn ich arbeite, dann bin ich schon sehr genau.

Du sagst im Interview zum Buch, dass du dich für keine deiner Aufnahmen in der Vergangenheit schämen würdest. Das ist ungewöhnlich, weil sonst viele Künstler gern ihre Erstlingswerke vergessen wollen oder sich ewig dafür rechtfertigen. Und dass jetzt so ein perfektionistisch arbeitender Mensch, wie du es bist, mit all seinen Arbeiten zufrieden ist, finde ich sehr gut, aber auch erstaunlich.

Das liegt daran, dass ich für diesen Zeitpunkt, wo ich das gemacht habe, weiß, dass ich alles gegeben habe. Klar, dass ich jetzt viel besser spiele als vor 20 Jahren und meine erste Platte war vom Songwriting sicher nicht so wie jetzt, aber für diesen Zeitpunkt wo ich das gemacht habe, war es das Beste, was ich konnte. Und Kompromisse habe ich nie gemacht. Auch als Kleinkind nicht. Das hat teilweise auch Probleme gemacht. Da ich so verbissen war als Kind mit dem Cellospielen, weil ich unbedingt die Orchestertour mitmachen wollte, hat es mich letztendlich einen Muskel gekostet. Ich habe wie ein Wahnsinniger geübt, weil ich einen Solopart spielen wollte. Man hat mich gewarnt und mir gesagt, dass ich zu jung wäre und noch mindestens zwei Jahre warten sollte für dieses Spiel. Aber ich hab‘ nur geantwortet: „Nein, ich schaff‘ das jetzt“ und habe mir die Sehnenscheide am rechten Daumen kaputt gemacht.
Aber an sich bin ich glücklich mit jedem Ton, den ich gespielt habe, weil ich weiß, dass ich nie irgendeinen Scheiß gemacht habe, wo ich gesagt habe: „Ach, egal, mach‘ ich irgendwas.“
Ich bin zufrieden mit allem, was ich gemacht habe, auch was nicht so gut war, weil ich immer nur das gemacht habe, was ich möchte und nur wie ich möchte. Und deswegen habe ich für mein Leben so ein gutes Gefühl.
Aber es gehört auch viel Risiko dazu. Und Glück. Und Mut. Ich meine, ich bin von Russland weggegangen von einer Band mit der wir 10 Millionen Platten verkauft haben. Aber in einem Land zu bleiben – das ist für mich zu wenig. Dann bin ich mit Koffer und Gitarre und wirklich wenig Geld im Portemonnaie ohne Unterstützung ganz allein irgendwo nach Deutschland gefahren und habe ganz von vorn angefangen. Und das, wo ich im Prinzip schon alles einmal aufgebaut hatte. Und dann stehst du da mit nichts. Also wirklich mit nichts, außer Koffer und Gitarre. Da muss man schon Eier haben.

So zu leben, wie man mag, trauen sich die Wenigsten. Es immer so durchzuziehen und sich immer in den direkten Wind zu stellen, erfordert schon viel Courage.

Ja, aber am Ende macht es dich glücklich. Wenn du weißt, dass du keine Kompromisse gemacht hast und das, was du erreichst hast, dein Weg ist. Das macht einfach glücklich. Und wenn du dich glücklich fühlst und weißt, das Richtige getan zu haben, dann sind die Probleme auch leichter zu verkraften. Du bist dann einfach glücklich und auch wenn etwas schief läuft ist dein Glas trotzdem halb voll statt halb leer.

Einerseits deine Selbstzufriedenheit, gekrönt mit der Geburt deines Sohnes und andererseits dein sehr risikoreiches Leben mit Motorsport, deiner Krankheit und Grenzerfahrungen wie mit deiner Blinddarm-OP. Normalerweise tritt man doch dann einen Schritt zurück?

Schritt zurück bedeutet nicht immer Sicherheit. Oft ist es so, dass wenn man bremst, dass Risiko steigt. Das ist sehr oft, z. B. auch im Motorsport so. Wenn man sich Rennen anschaut, wo Leute anfangen auf Sicherheit zu fahren, dann machen sie mehr Fehler, weil ihnen die Konzentration fehlt. Wenn sie so in ihrem Rennbetrieb fahren und sich konzentrieren, dann geht’s meistens gut, aber wenn sie auf Sicherheit fahren, dann fliegen sie raus. Ich war eben auf Deutschlandrallye, bei der beide Sieger am letzten Tag angefangen haben auf Sicherheit zu fahren. Sie dachten sich: „Jetzt sind wir weit vorne, jetzt kann nichts schief laufen, fahren nichts kaputt, sondern piano.“ Und beide haben einen ganz bösen Abflug gemacht, den Weinberg in Trier 100 m runter mit mehrfachem Überschlag.
Ich glaube, dass bei vielen Leuten auch bei Entscheidungen, z. B. ob sie von einer Band zu anderen wechseln o. ä., wenn sie auf Sicherheit gehen und nicht tun, was sie normalerweise möchten, dann sind sie später total unglücklich und verpassen den richtigen Moment.
Ich kenne viele Leute, die wegen einem Kind oder wegen der Familie mit irgendetwas aufgehört haben und sie sind total unglücklich, weil sie einen Spaß im Leben vermissen.
Klar, dass ich jetzt nicht mehr so wild fahre oder viele Sachen, die ich früher gemacht habe, nicht mehr mache.
Ich habe z. B. mal Kunstflug gemacht, das mach‘ ich nicht mehr. Ich war zweimal bewusstlos, zweimal den Flug verloren. Das war nicht lustig.
Aber das ist jetzt nicht nur wegen dem Kind, sondern einfach Lebenserfahrung. Man macht was und weiß dann wie es schmeckt und dann isst man das nicht mehr.
Egal was man macht, Hobbies oder so, man muss es selber wollen und selber damit glücklich sein. Denn nur wenn man selber glücklich ist, kann man andere Menschen glücklich machen.
Ich lach‘ mich immer kaputt über irgendwelche Lehrer, welche privat im Leben nichts gebacken kriegen. Ich kenne sehr viele Lehrer, die Alkoholiker sind oder völlig bescheuerte Leben führen und die versuchen dann in die Klasse zu gehen und den Kindern zu zeigen, wo es lang geht. Dann sag‘ ich, so geht das nicht. Du kannst nicht irgendwas Gutes vermitteln, wenn du selber nicht glücklich bist.

Stichwort Glück: Du sprichst in deinem Buch immer die eigene Limitierung der Orchestermusiker oder Coverbands an. Kannst du dir aber nicht vorstellen, dass sie in ihrem Rahmen der Möglichkeiten glücklich sind?

Ja, sicher. Mein bester Kumpel Alex (Werbach, Webmaster von Rage) ist ein völlig anderer Mensch als ich. Total ruhig und keinen Bock auf irgendwelches Risiko, Rock ’n‘ Roll. Er ist ein ganz, ganz, ganz ruhiger Typ. Manche würden sagen, er ist auch ab und zu mal faul, aber er ist einfach so entspannt. Er hat keinen Bock auf Stress. Er hat so seine eigene kleine Welt. Er hat keinen Bock um die Welt zu fliegen, überall oder alles unbedingt erleben zu müssen. Er muss es nicht und ist total glücklich in seiner Welt.
Klar, wenn einer glücklich ist mit seiner eigenen kleinen Welt und nichts erreichen will, dann ist das überhaupt kein Problem.
Aber bei Musikern ist es so, dass viele zu früh aufgeben.

pia.kintrup@folkwang-uni.de 0163 4580594Aber die Schwierigkeit ist ja auch zu erkennen, wie weit man kommen kann und welche Opfer man bereit ist dafür zu geben.

Klar, man muss Prioritäten setzen. Manche setzen da lieber auf Sicherheit, Familie oder sonst irgendwas.

Thema Musikschule: Dich selbst würde es mal reizen, diverse Orchesterregeln aufzubrechen. Warum tust du es dann nicht in deiner eigenen Musikschule? Haben die Regeln letztendlich doch ihre Daseinsberechtigung?

Wenn du klassische Musik schreibst oder für ein klassisches Orchester, dann gibt es ein paar Regeln, die man nicht verändern kann. Zum Beispiel kannst du bei der Orchesterbesetzung nicht machen, was du willst. Da kommt sonst der Dirigent durcheinander und auch die Musiker selber. Sie sind über die Jahre gewohnt, gewisse Sachen so zu spielen und zu sehen, kommunizieren und hören. Wenn man dann ein bisschen was ändert, wie z. B. bei uns, wenn das Orchester mit der Band spielt, dann muss das Orchester aber ein bisschen anders sitzen. Wenn man dann Geige und Cello zu weit auseinander reißt, weil z. B. das Schlagzeug von André da steht, dann verlieren sie sich. Sie sind so gewohnt sich zu hören und den anderen, dass sie dann nicht spielen können. Beim Orchester gibt es noch viele Sachen, die du nicht anders machen kannst. Es ist ein bisschen wir Grammatik, da kannst du auch nicht schreiben, wie du magst.

Ist die Musikschule dann doch eher statisch?

Nein, ich kann da schon machen, was ich will, aber es bringt ja nichts.
Ich bereite zum Beispiel viele Leute für die klassische Prüfung vor und da muss ich die schon vorbereiten, so wie das später sein muss, da er ja sonst die Prüfung nicht besteht. Aber teilweise gibt’s schon blöde Regeln. Zum Beispiel parallele Quinten – sagt dir jetzt vielleicht nix – wenn man auf der Gitarre gleiche Powerakkorde spielt und die so hin und herschiebt auf der Gitarre. Wenn du das in klassische Musik machst, dann ist es wie Grammatikfehler, und deswegen muss ich den Leuten richtig erklären, wie das geht.
Ich finde die Verbindung von Klassik und Metal schon toll, aber ich versuche meine Schüler schon so zu erziehen, dass sie wirklich offen für alles sind. Ob man privat Jazz hört oder nicht, das ist Geschmackssache, aber in dem Genre gibt es ein paar Harmonieakkorde, die sollte man schon kennen und lernen. Das Know-How Jazzakkorde zu greifen ist später total gut für Metal. Da sind viele Leute zu konservativ – ich mach‘ Metal, also muss ich nur Metal lernen – alles andere ist falsch. Man kann sehr viel nutzen und verbinden.

Abschließend möchte ich wissen, was denn an Kassetten so toll sein soll.

Die Analogzeit verfolgt uns, weil es immer noch eine sichere Variante irgendwelche Ideen zu sammeln ist. Zum Beispiel die letzten zwei CDs habe ich hier auf meinem Handy, und auch Sachen auf dem Laptop und alle Digitalmedien – alles läuft parallel. Aber teilweise, wenn man einfach irgendwas nicht vergessen möchte, dann ist so eine blöde Kassette einfacher, schneller und sicherer. Du kannst dir nicht vorstellen wie viel Ideen ich schon im PC verloren habe, die ich schon richtig gut aufgenommen hatte und dann geht diese scheiß Festplatte kaputt und alles ist weg. Und du kannst dich nie im Leben erinnern, was du vor einer Woche da draufgesprochen hast.

Aber unpraktisch sind sie schon.

Ja, unpraktisch schon, aber in dem Moment wo du aufnehmen willst nicht, weil es da einfach das Schnellste ist. Bei Peavy steht auch immer ein Kassettenrecorder. Es geht nicht darum, die Idee von der Tonqualität gut aufzunehmen, sondern es geht nur ums Nichtvergessen. Ich drück‘ einfach auf Play und fang an zu labern. Eh ich den Computer angeschaltet hätte und alle Programme hochgefahren – da ist der erste Kick schon weg.
Und teilweise ist die erste Idee die geilste. Man entwickelt sie zwar später weiter, aber der erst Eindruck zählt. Leider geht der digitale Kram so oft kaputt, Ich habe zwar schon immer eine zweite Festplatte und Sicherheitskopie, aber das ist leider alles nicht so sicher wie auf einer beschissenen Kassette. Ja, die Kassette die klingt später zwar scheiße, aber es ist praktisch. Einfach save.

Und lenkt auch nicht so ab. Wer kennt es nicht, den PC hochzufahren, um schnell eine Sache zu erledigen und bleibt letztendlich bei allem hängen nur nicht dem, was man machen wollte.

Ganz genau. Nur nicht ablenken lassen. Deswegen habe ich auch meine Art zu produzieren geändert – ich will mich von dem ganzen technischen Kram nicht mehr ablenken lassen, sondern nur noch auf die Musik konzentrieren und nicht über irgendwelche Equalizer und Kanäle nachdenken. Ist eine Erfahrungssache.

Es wird geschrieben, dass du auch noch malst, aber leider ist keines deiner Kunstwerke im Buch zu sehen.

Ja, früher hab ich mehr gemacht. Als Kind habe ich viel gemalt und dann halt mehr und mal weniger, aber immer für mich halt.
Man wird auch keine Bilder von mir sehen, da ich das irgendwie für mich behalten möchte Es gibt so Dinge, die möchte man privat halten. Deswegen habe ich auch nicht viel über meine Familie erzählt oder mein Kind. Es gibt so Sachen, die möchte ich einfach nur für mich.
Beim Malen kann ich auch abschalten und das mag ich. Wie beim komponieren auch – ich falle da irgendwie in eine andere Welt. Dann möchte ich einfach allein sein, durch nichts gestört – Telefon, E-Mails… da verschwinde ich in mir.
Das ist bei Rennen auch ähnlich. Ich fahre ja auch Rallye. Das ist vom fahrerischen Können sehr anspruchsvoll und vielleicht interessanter, aber du hast einen Beifahrer, der immer etwas ansagt und du blind das machst. Aber was mich bei Langstrecken fasziniert, wie 24h-Rennen, ist, dass man so lang allein für sich in dieser extremen Welt ist. Das ist ein ganz anderes Universum. Das kann man nicht beschreiben. Dann ist rund um deinem Helm und deinem Auto eine Welt zum Rest der Welt. Das ist ein ganz spezielles Gefühl. Das mag ich. Ich habe darüber auch mit vielen Formel-1-Fahrern gesprochen und denen geht es auch so – du setzt den Helm auf und bist Meilen weg von allem. Und das finde ich gut. Man denkt ganz anders. Man spricht mit sich selber. Es ist einfach toll. Man erfährt sehr viel über sich selber in so einer extremen Situation. Wenn man für sich allein ist und alle Entscheidungen allein trifft. Von einer Seite bekommt keiner mit, was du machst. Du kannst im Prinzip verlieren und sagen, dass Auto war scheiße und du bist der Coolste, aber du selber kannst du nicht verarschen. Du testest dich selber unbeobachtet.

Das ist noch schlimmer – weil du nur dir selber gegenüber stehst.

Da gibt’s schon so ein paar Mutkurven, da erfährst du dann für dich selber – hast du Eier oder nicht. Ich genieße diese Welt.

Vielen Dank für das tolle Interview!

(lkb)

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