The Hirsch Effekt

Verfasst am 23. Mai 2013 von Gringer (Kategorie: Band Of The Month, Interviews) — 3.158 views

Wagnis und Lohn

Das Zweitlingswerk „Holon : Anamnesis“ der Band The Hirsch Effekt wurde bei Metal-Aschaffenburg Platte des Jahres.

Wenn das mal kein Grund für unsere Rubrik „Band Of The Month“ ist.

cover_hirsch-Effekt_AnamnesisdsfsdsdfsdUnd nicht nur wir waren uns einig, auch andere Unterfränkler finden das Trio mehr als abfeierungswürdig. Aufgrund der bisherigen Hirsch-liveabsenz kam es seitens der Fans zu mehreren Posts auf Facebook, dass ein Auftritt dringend Not tut. Getreu dem Motto: „Hier geht nichts von allein“ hat sich dann insbesondere unser Freund Dimitrios Charistes stark gemacht und die Verbindung zwischen Colos-Saal und den Hirschen hergestellt. Der Rest ist Geschichte, die in den „Büchern“ steht. Es folgte der Auftritt am 18.05. als Vorband von Lazuli. Die Nerven lagen blank. Erwartete man doch einen seltsamen Auftritt, weil die Bands musikalisch einfach nicht recht zueinander passen wollten. Doch alle Sorgen erwiesen sich als unnötig. Ja, das Gros des Lazuli-Publikums bekam große Augen und kleine Ohren, war aber wie erwartet open minded und stand es mit Würde durch. Davon abgesehen versteckte sich auch im Pulk nebst der Hirschfangruppe der ein oder andere geneigte Hörer. Das Vorhaben, ein eher softes Set zu spielen, war nett gemeint von der Band, aber die Realität hat doch gezeigt, dass dies im Grunde gar nicht möglich ist und beim Präsentieren von Songs wie „Mara“ (ein Brecher erster Güte) auch nur halbherzig umgesetzt wurde. Der Auftritt war phantastisch, der Sound weltklasse, die Jungs einfach nur prima. Es war eine Freude mit Nils zu singen und sich von der Hirschmusik zerstören zu lassen. Auch wenn es durch den Vorbandcharakter nur 40 Minuten waren, waren diese aber einfach perfekt. Die Aufmerksamkeit für den Rest des Abends war dadurch leider aufgebraucht, aber man muss auch Opfer bringen.

Vor dem schönen Ereignis habe ich mich mit dem überhaus sympathischen Sänger/Gitarrist Nils Wittrock getroffen und ein gutes Gespräch geführt.

Metal-Aschaffenburg: Wie fühlt es sich an, vom „Kleinstadtunderground“ so vehement nach Aschaffenburg gefordert zu werden? Fandet ihr das komisch oder passiert euch das öfter?

Nils Wittrock: Das passiert öfter, aber nicht, dass dabei rauskommt, dass wir dann als Vorband einer anderen Band spielen – eigentlich eher im Juz-Stil. Dass uns jemand dadurch eine Verbindung zu einem recht großen Club herstellt, ist allerdings noch nicht passiert.

Es ist bei euch sowieso schwierig, passende Bands zu finden, aber ich sehe auch ganz sicher nicht als passende Vorband zu Lazuli.

Findest du? Nein, ich finde, das geht. Es war so, dass mir Matthias (Booker des Colos-Saals – (lkb)) ein Datum genannt hat, das aber für uns eher aus der Luft gegriffen war und allein wegen Aschaffenburg den Weg von Hannover antreten ist dann doch ein bisschen zu weit. Ich habe mir den möglichen Gig aber im Hinterkopf behalten und als wir dann in Stuttgart gespielt haben, fand ich den Termin mit Lazuli passend. Wir wurden schon mal zu Folk dazugebucht, das war eher komisch. Wir schreien natürlich immer mal, aber wir haben das heute eher so gemacht, dass es episch-proggige Songs sind und wir die Hardcorepunknummern ein bisschen rausgelassen haben. Das hat zu einer kleinen Diskussion in der Band geführt. Das Wort „Zensur“ ist nicht unbedingt gefallen, aber es ging in die Richtung. Ich will den Leuten hier ja nicht vor den Kopf treten. Wir spielen als Vorband von Lazuli und wir haben ja nichts davon, wenn wir uns das Publikum da wegschreien. Wenn wir die Möglichkeit haben Hörer zu generieren, dann sollten wir das auch nutzen. Andersherum gesagt, wenn wir jetzt als Vorband von Dillinger Escape Plan spielen würden, dann fällt auch die Hälfte weg, wie z. B. „Ligaphob“, und das ist im Grunde genauso gefallen wollen. (Inzwischen wurde The Hirsch Effekt für zwei Deutschlandkonzerte von Dillinger Escape Plan als Support bestätigt – (lkb))

Ich sehe das Lazuli-Publikum schon sehr offen, aber habe immer noch meine Zweifel.

Also, ich stell‘ mir das so vor wie das typische Eclipse-Publikum, so ein bisschen progressiv. Vielleicht finden sie es einfach interessant.

So handzahm seid ihr nun auch nicht. Du glaubst das vielleicht, weil du die Mucke machst, aber die ist schon verrückt.

Schauen wir mal. Ich sehe das gar nicht so kritisch. Wir haben ja auch immer viel mit Zen Zebra gespielt.

Das passt ja auch.

Ja, das ist eine schöne Mischung, aber ich finde, das hat musikalisch überhaupt nix miteinander zu tun.

Ja, aber die können eher mal damit leben, wenn einer mal plötzlich schreit.

Ich kenn‘ das Publikum ja nicht, was da heute Abend kommt, aber ich bin da gar nicht so kritisch gegenüber eingestellt.

Bei zwei unterschiedlichen Sachen und Kritik fallen mir sofort eure beiden Platten ein. Erlebt ihr die auch so unterschiedlich?

Sooo unterschiedlich nicht. Ich finde, auf jeden Fall wir haben uns weiterentwickelt.

321030_532269963460066_558704067_nAbsolut. Ich hatte mir die erste Platte blind auf Empfehlung gekauft und war fast angepisst über deinen LMAA-Gesang.

Was heißt denn LMAA-Gesang?

Indem du es einfach so hinrotzt, nach der Art „mir egal“ und absichtlich nicht passend. Ich will absichtlich nicht gefallen, ich bin jetzt absichtlich anders.

Ich glaube, da interpretieren die Leute immer viel zu viel rein. Ich hab halt vor Hirscheffekt nie vorher in irgendeiner Band gesungen.

Dank eurer zweiten Platte „Holon : Anamnesis“ habe ich auch erst begriffen, dass im Grunde die guten Ansätze ja schon auf der „Holon: Hiberno“ zu hören sind und jetzt lediglich perfektioniert wurden. „Holon: Hiberno“ ist entstanden, indem drei sehr begabte Kinder eingeschlossen wurden und noch gemacht haben, was ihnen in den Sinn kommt. Bei Werk Nr. zwei haben wir jetzt schon strukturierte, disziplinierte Jugendliche. Und das dritte Album wird dann perfekt!

Das ist jetzt eine sehr analytische Sicht. Für uns waren das einfach die ersten Versuche.
Schauen wir mal. Wir haben jetzt ja einen neuen Schlagzeuger. Und das wir ja sicherlich auch etwas am Songwriting ändern.

Du hast mal gesagt, dass du dir THE nicht anhören würdest, aber spielen macht Spaß. Wenn man die Ironie beiseite nimmt – könnte es tatsächlich sein, dass du auf eine Harmonie verzichten würdest, weil sich ein Frickelpart grad so geil spielt oder ihr die spielerische Herausforderung dem Gefallen wollen vorzieht?

So denkt man nicht als Musiker. Ich überlege nicht, ob ich das jetzt spiele, weil ich das gut finde, sondern – ich weiß nicht. Wir arbeiten sehr akribisch und sehr detailreich und wenn einer sagt „Lass das da mal weg“, dann lassen wir das weg.
Z. B. gerade bei „Absenz“ im Refrain haben wir das Schlagzeug total zurückgenommen und ganz am Anfang die Bassdrum kommt weg, weil das einfach nicht passt.

Also, das, was im Moment passiert, wird gemacht?

Wir hören uns das halt an und wir finden, da kann das zurückgenommen werden und da das. Vielleicht ist das der große Unterschied zur neuen Platte. Keiner versucht, Musik irgendwie so zu machen, dass jeder denkt ich bin geil oder das macht halt voll Spaß, sondern wir wollen halt einen guten Song machen.

Ich hätte gedacht, dass bei einer Band wie THE es im Grunde scheißegal ist, was ankommt.

Doch, es ist auch scheißegal, was ankommt. Ich finde es ist was anderes, wenn man das spielt, weil man denkt, das fühlt sich gut an, ich hab‘ Bock auf diesen Lick oder man spielt das halt, weil man denkt, das ist voll gut für den Song. Und auch andersrum, wir haben auch viele Sachen – Ilja vor allem und auch Philipp damals –  da haben wir auch viel wieder gestrichen an Frickeleien, wo wir gesagt haben „ganz cool, aber braucht man nicht“. Das heißt aber nicht, dass wir gefallen wollten. Wir stellen uns da nicht Hörer vor, sondern wir hören das selber. Machen die Musik, die wir halt gerne hören wollen.

cover_hirsch-Effekt_AnamnesisIhr habt euren Longplayer auf einer Doppelvinyl mit einer ziemlich coolen vierten Seite herausgebracht. Nur wegen dem Effekt oder hat euer Werk nicht auf eine Schallplatte gepasst?

Nein, da passen nur 22 Minuten drauf, um gute Qualität zu haben. Je mehr pro Seite, desto kleiner die Rillen und desto leiser wird es. Dazu kommen mehr Nebengeräusche und weniger Dynamik. Lautere und basslastigere Parts brauchen breitere Rillen als leisere. Und da das Album 66 min lang ist brauchten wir genau 3 Seiten. Wir sind zwar erst von vier ausgegangen, wie beim Vorgänger, haben uns aber dann überlegt, dass man es nicht unnötig übertreiben muss und uns entschlossen, die vierte Seite wegzulassen und dann kam die Idee mit dem Etching.

(Nun erhielt ich von Nils eine kleine Einführung in die Plattenherstellung. Von dem vierminütigen Nerdtalk sei Euch nur berichtet, dass Nils höchstpersönlich mit einer Art Kartoffelschäler den Text der vierten Seite in die Negativfolie geritzt hat. Da der Text sich weiterführend auf das Konzeptalbum bezieht hat er diesen dann auch für die CD nochmals im Kreis geschrieben, damit auch der CD-Käufer das Gesamtkunstwerk (wenn auch nicht so schick) in Händen hält – (lkb))

Fällt dir eigentlich noch weiteres deutschsprachiges Konzeptalbum, außer vielleicht Tabaluga oder Le Frisur ein?

Le Frisur habe ich auch. Ich kenne jetzt auch keins. Gibt es bestimmt. Calea – „Trümmermensch“ vielleicht.

Zur Crowdfundinggeschichte. Denkt man, wenn man es geschafft hat, dass man jetzt genau das machen kann, was man wollte oder denkt man eher, jetzt habe ich Geld und Vertrauen erhalten und muss auch entsprechend was abliefern?

Ist schon beides. Wir haben die Platte jetzt immer noch nicht verschickt und das ist dann schon immer noch so ein bisschen, dass wir noch was schuldig sind. Das wird alles, die ist ja jetzt so gut wie fertig und dann werden wir uns hinsetzen und Kartons packen. Aber auch bei Aufnehmen dachte ich schon, dass da Leute wirklich Geld in die Hand genommen haben, weil sie Bock drauf hatten, die wollen, dass wir jetzt auch was Gutes machen. Aber ist ja beim Album eigentlich ja nicht anders.

Du und Ilja studiert Musik, dazu THE und deine Solokonzerte. Dreht sich bei euch alles nur um Musik? Könnt ihr abschalten oder singt es immer im Kopf?

Nein, wir sind beide fertig. Und wir sind ja nicht Mozart. Es dreht sich alles um Musik, aber nicht in Form von Tönen, sondern alles was dazu gehört: Selbstverwaltung, Organisation, Promotion. Da gehört halt soviel Klimbim drumherum. Ich habe sehr viel mit Booking zu tun und unterrichte ja auch noch. Das sind im Grunde schon zwei Jobs. Und dazu spiel‘ ich die klassische Gitarre. Da gebe ich Solokonzerte, die ich auch noch dazwischen schieben muss bzw. mir das Programm draufschaffen muss.

Wenn Musik zur Arbeit wird…

Naja, wenn ich die klassische Gitarre in die Ecke stellen würde, dann würde es keine Sau interessieren. Ich spiel da so vor einer handvoll Omas. Das mach ich aber nur für mich. Es gibt genug Studenten, denen nach dem Studium die Motivation fehlt und von selber kommt natürlich keiner an und fragt dich, ob du was spielst. Es sei denn, du wärst ein Superüberflieger, aber die Spitze ist wirklich superklein. Da kommt in der Regel keiner und sagt, komm spiel mal was, sondern du musst da selber was machen und selber Konzerte organisieren. Und ich bin auch froh, dass ich nebenbei unterrichte, weil ich die Sorge hatte, dass kein Lehrer mehr kommt, wo man jede Woche hinmuss und wo keiner mehr was von dir erwartet.

Vielen Dank fürs Interview Nils!

Das war es schon?

Ja, die Aufmerksamkeitsspanne der Leute darf nicht überspannt werden.

(lkb)

www.TheHirschEffekt.com

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