Fantasie & Emotion

Verfasst am 10. Januar 2012 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 2.672 views

Ein Interview mit Chapeau Claque

Oberflächlich gesehen haben Chapeau Claque mit Metal genau so viel zu tun wie die Brüder Grimm mit Science Fiction.
Bei genauerem Hinsehen aber offenbaren sich dem willigen Hörer etliche Parallelen. Natürlich nicht in musikalischer Hinsicht – wohl aber in vielen anderen Punkten, wie die (in jederlei Hinsicht) bezaubernde Sängerin Maria Antonia Schmidt, mit der sich Metal-Aschaffenburg vor dem Konzert im Aschaffenburger Colos-Saal unterhielt, auch vollkommen richtig bemerkt.

Metal-Aschaffenburg: Hallo Maria! Warum gefällt ausgerechnet mir als Metal-Fan eure Musik? Parallelen gibt es ja auf den ersten Blick nur wenige…

Maria: (lacht) Ja – eigentlich nicht. Aber: Es gibt bestimmte Emotionen, die jeden Menschen betreffen. Und unsere Musik ist sehr emotionale Musik. So gibt es Geschichten, die eben jeden berühren. Egal ob Metal- oder Techno-Fan. Das ist erstmal egal – eher allgemeingültige Dinge.
Ich finde, gerade Metal-Leute sind ja auch extrem emotionale Leute. Es geht ja im Metal auch viel um Emotionen und Energie. Das findet man bei uns ja auch wieder. Emotionen und Energie haben wir ja mit im Paket.
Dazu sind unsere Texte sehr bilderreich und metaphorisch – hier findet sich jeder wieder, der sich etwas für Text und Poesie interessiert. Und: Auch unser Sound ist sehr eigen; sehr schwer zuzuordnen. Damit können wir Leute abgreifen, die aus den verschiedensten Sparten kommen – weil wir eben sehr bunt und vielfältig musizieren.
Das sind zumindest zwei Antworten die mir dazu spontan einfallen (lacht).

Ja, da kann ich mich nur voll und ganz anschließen. Wobei es den „typischen“ Chapeau-Claque-Fan wahrscheinlich gar nicht gibt, oder?

Hmm. Ich weiß nicht. Der typische Chapeau-Claque-Fan. Ja, was hört der eigentlich?
Also, wenn man es in Interviews immer herunterbrechen muss, weil jemand fragt: Was macht ihr eigentlich? – ohne dabei zu ausschweifend zu werden. Dann würde ich es herunterbrechen auf: Es ist deutsch. Wobei ja nicht mal das. Es ist fokussiert auf deutsche, poppige Musik. Das hört sich aber so schrecklich an. Da denkt jeder zuerst an etwas anderes…

Stimmt. Du hast es ja zuvor ohnehin schon sehr passend beschrieben: Bunt, metaphorisch,….
Was mich bei Chapeau Claque so fasziniert, ist die Tatsache, dass es euch wie sonst kaum jemanden gelingt, die Fantasie des Hörers zu beflügeln und aus grauen Gedanken farbige zu machen. Das ist insofern toll, weil ich das Gefühl habe, dass es vielen anderen Bands ausreicht Texte im einheitlichen grau zu verfassen. Woher kommt diese Magie?

Ich glaube, was auch noch ganz typisch für Chapeau Claque ist, ist, dass es nicht nur so tiefe Songs gibt, sondern auch total flippige Sachen, wie „Platte an“ oder so. Das sind zwei völlige extreme Stile, die man aber gut vereinen kann. Man ist ja auch nicht eindimensional emotional. Mal gut gelaunt, schnell, flink und spaßig aufgesetzt. Aber es gibt auch Tage, an denen man ruhiger ist. Und ich finde es einfach nur ehrlich und authentisch, wenn man diese beiden Emotionen auch beide bedient.

In „Knallt ein Spatz“ formulierst du so schön: „Bevor das Kind in dir gänzlich weicht, küss es, küss es auf die Stirn“. Findest du, dass das Erwachsenwerden dem Kind-bleiben in irgendeiner Form widerspricht?

Nein. Gar nicht. Ich finde es total albern, wenn man sagt, man muss sich entscheiden: Bist du jetzt erwachsen oder bist du Kind? Man kann ja reifen und durch Erfahrungen erwachsener werden und trotzdem eine gewisse Art von Spontaneität, Flexibilität zu erhalten. Für mich heißt kindsein auch immer, begeisterungsfähig und leidenschaftlich zu bleiben, sich den frischen Blick auf Dinge zu bewahren und nicht zu abgeklärt werden. Aber diese Erfahrung und dieses trotzdem Flexibel bleiben schließen sich meiner Meinung nach überhaupt nicht aus und ist die absolute Tiefe, die man sich damit schaffen kann.
Auch Naivität. Naiv sein ist manchmal schön und wichtig. Kinder haben ja oft etwas Naives – und mit dem Alter weiß man dadurch besser, woran man ist.

Absolut. Es ist immer wieder schade zu beobachten, wie viele Menschen eine strikte Grenze zwischen Kindheit und Erwachsen sein ziehen, die dort eigentlich nicht sein sollte.
Kann es sein, dass ihr an euren Songs oft sehr lange arbeitet?

(Maria lacht) Nee – eigentlich nicht.

Ich frage, weil ihr „Pale Blue“ bei eurem letzten Konzert 2010 bereits gespielt und erst jetzt veröffentlicht habt. Zum Stück „Das“ habt ihr schon ein Jahr vor der Aufnahme einen Videoclip gedreht…

Also das hängt schlichtweg damit zusammen, dass man ein Album veröffentlicht mit 10 oder 12 Songs. Aber es gibt natürlich oft alte Songs, Songs die man noch irgendwo liegen hat – oder Songs, die direkt nach der Veröffentlichung entstanden sind und dann zwei Jahre brauchen bis das nächste Album veröffentlicht wird.
Den Song „Das“ habe ich zum Beispiel mit 15 Jahren geschrieben. Der kullerte so lange rum, bis es jetzt an der Zeit war. Das heißt aber nicht, dass man an einem Song lange arbeitet. Manche kommen sofort aufs Album, manche werden liegen gelassen.

Siehst du denn einen fertigen Song als fertig an?

(grübelt) Hmm. Die Frage ist halt, wann er fertig ist. Im Studio ist es schon so, dass man dan noch schön dran arbeiten kann. Weil man ja auch sehr perfektionistisch ist. Aber sooo ewig schrauben wir dann an einem Song auch nicht herum. (grinst)

War „Pandora Kiss Miss Tragedy“ und der Auftritt beim Bundesvision Song Contest im Rückblick eigentlich Fluch oder Segen für euch?

Das war der absolute Segen. Es gibt zwei Blickweisen darüber. Die einen sagen: Oh – das ist ja ganz schön kommerziell. Der Sender, Stefan Raab. Es läuft Werbung. Wollt ihr das wirklich? Ihr kommerzialisiert euch damit soch… Diese Kritik gibt es oft.
Dann gibt es aber auch noch eine andere Perspektive. Denn es ist im Grunde die einzige Plattform in Deutschland, die es so unbekannten Bands die Möglichkeit gibt, vor ein großes Publikum zu treten und sich zu präsentieren. Diese Idee hat Stefan Raab geboren und ich finde es großartig, dass es jemand macht. Wir hätten ohne diesen Auftritt damals niemals auf Tour gehen können und in den letzten Ecken von Deutschlands Leute in die Clubs ziehen können, denn sie hätten uns einfach nicht gekannt. Und so kamen eben auch in Buxtehude ein paar Leute zum Konzert.

Es gingen also richtig viele Türen auf.

Richtig viele. Wir hatten in diesem Jahr auch etwa 60 Konzerte gespielt. Das hat richtig viel gebracht. Ich würde es jederzeit wieder machen wenn wir das Angebot dazu bekommen würden.
Noch ein anderer Gedanke dazu: Es ist auch manchmal richtig blöd zu denken: Hm. Man sollte das nicht machen. Denn eigentlich ist es total gut, dazu beizutragen, dass der Inhalt der Medienlandschaft mit dem eigenen Beitrag damit bunter wird – anstatt nur darüber zu jammern.

Ich finde das Format „Bundesvision Song Contest“ auch klasse. Ich würde euch ohne dieses ja auch nicht kennen.

Bist du eine Person, die eher mit dem Kopf, dem Bauch oder mit dem Herzen denkt (und Songs schreibt)?

Hmm. Total unterschiedlich. Es hat sich sogar tatsächlich geändert. Als ich angefangen hatte Songs zu schreiben war es immer aus dem Bauch heraus. Die Muse hatte mich dann einfach immer geküsst. Das funktioniert auch eine ganze Weile, aber wenn man merkt, dass es professioneller wird, sprich: Man hat Fans, die etwas dafür bezahlen, man hat eine Band, dann kann man sich beim Albumschreiben nicht immer darauf verlassen, dass dich immer die Muse küsst – abgesehen davon, dass man ja noch gaaanz viel um die Ohren hat. Ich studiere ja auch noch… und und und.
Dann muss man quasi auch lernen, anders als Schreiber dort heranzugehen. Das heißt an Texte, Poesie und Literatur. Man beschäftigt sich plötzlich mit dem Medium Schreiben und bekommt noch einmal einen anderen Zugang, der ein bisschen mehr mit Arbeit zu tun hat und nicht mehr so aus dem Bauch heraus kommt. Man muss dann schauen: Wie kann ich Geschichten erzählen? Dort gibt es dramaturgisches Handwerk zum Beispiel – was extrem spannend finde. Die Texte, die dabei herauskommen finde ich meist noch mal eine ganze Ecke tiefer.
Es hat aber beides etwas für sich. Und diese Momente fallen ja auch nicht weg. Im besten Falle kann man beides zusammenpacken – da kommen dann schöne Sachen dabei heraus. Ich schreibe sehr sehr gerne.

Und du hast wirklich schon mit 15 Jahren Songs geschrieben?

Ja. So mit 15 habe ich angefangen Lieder zu schreiben.

Und dann gleich so traurige Sachen wie „Das“…

(schluchzt charmant) Ja natürlich – der erste Liebeskummer, ne? Das ist doch der schlimmste.

Oh je. Das muss doch schlimm sein, jedes Mal wieder daran zurückzudenken, wenn du den Song live spielst.

Macht man ja nicht. Das ist ja das Schöne! Dass sich die Lieder so verselbstständigen. Abgesehen davon, dass sich die Stücke ja eh ändern über die ganze Zeit. Aber wenn ich „Das“ jetzt singe, dann denke ich überhaupt nicht an die Situation, sondern wenn, dann bringe ich Emotionen rein, die davon völlig losgekoppelt sind. Der Liebeskummer war zwar die Quelle, aber es verselbstständigt sich danach.
Das wäre ja sonst schrecklich. Da müsste ich ja immer Heulkrämpfe auf der Bühne bekommen (lacht).
Es ist ja auch inzwischen etwas anderes. Mit 15 unglücklich verliebt sein und mittlerweile in einer sehr glücklichen Beziehung leben. Da gibt es auch einfach keinen Grund mehr hinterher zu leben.

Was mir auch gut gefällt sind die vielen kleinen Wortspiele…

…Danke… (freut sich)

Das Wortspiel „Hab und Hut“ schreit nach der Frage: Was würdet ihr retten, wenn es brennt? Ich drehe den Spieß mal um und Frage: Was würdest du denn gerne den Flammen überlassen?

Das ist eine total spannende Frage! Vor allem mit dem Wort gerne…
Okay – von was würde ich mich gerne trennen? Ich glaube, wenn man mal längere Zeit auf Reisen ist – z. B. ein halbes Jahr unterwegs – das habe ich auch schon mal gemacht – dann vermisst man eigentlich nichts außer seinen Freunden, seine Familie, ganz grundlegende Sachen. Vielleicht auch Musik zu machen oder das, wofür man Leidenschaft empfindet. Konkrete Gegenstände gar nicht. Ich würde behaupten, man kann sich von ziemlich vielen Gegenständen frei machen.
Das ist ja auch die Idee hinter dem Album „Hab & Hut“ – denn Musik ist ja auch nichts Materielles, etwas Abstraktes, etwas Emotionales.
Aber auch materielle Dinge haben natürlich etwas Schönes, wenn man immaterielle Dinge damit verbindet. Es sind ja eigentlich Hilfsmedien, um sich an schöne Momente zu erinnern.
Ich versuche mich momentan von vielen Dingen zu befreien. Und wenn ich mir etwas Neues kaufe, dann überlege ich, ob ich es wirklich brauche, ob es mir wirklich gefällt und ob es das Leben lang das Potenzial hat mich glücklich zu machen. Das ist glaube ich auch die nachhaltigere Variante…

Vielen Dank für das Interview Maria!

Ich danke dir.

(mk)

www.ChapeauClaque.net

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