Arstidir
Verfasst am 07. Dezember 2025 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 17 viewsEs ist 11 Jahre her, seit wir die sympathischen Isländer zuletzt Interviewt haben. Und nachdem wir 2024 die Chance im Aschaffenburger Colos-Saal verpasst haben, ergab sich nun in Mainz eine neue Gelegenheit.
Sänger und Keyboarder Ragnar gewährte uns vor der Show ein paar tiefere Einblicke in die musikalische Seele von Arstidir.
Metal Aschaffenburg: Ragnar, euer Album „Vetrarsól“ ist mit einer ganz besonderen Zeit verbunden (der Weihnachtszeit). Wie habt ihr die Auswahl für die Stücke getroffen?
Ragnar: Es sind alles Lieder, die wir schon lange kennen und singen. Als Isländer sind diese Songs alle tief in dir verankert. Wir lieben diese Songs. Und nach acht Alben mit eigener Musik wurde es Zeit, ein Cover-Album zu machen. Und was liegt dafür näher, als dafür Stücke auszusuchen, die wir lieben.
Speziell nach der Bahnstation-Sache wurden wir auch immer wieder gefragt, ob wir mehr solche Songs aufnehmen können. Und jetzt wurde es Zeit, diesen Wunsch zu erfüllen.
Außerdem ist das Album auch eine Reise zu unseren Wurzeln. Isländische Musik ist gesangsorientiert. Isländer hatten durch die Isolation früher keinen Zugang zu Instrumenten und waren später oft nicht reich genug, um sich welche leisten zu können. Es gab auch keine Bäume, um daraus Instrumente bauen zu können. So wurde das das gemeinsame Singen über tausende Jahre hinweg zur Tradition.
Bis heute?
Ja! Im Chor zu singen ist wie ein Nationalsport. Ein enorm hoher Prozentteil der Bevölkerung war oder ist in einem Chor.
Die damalige Isolation hat auch Einfluss auf die Art und Tonalität des Singens gehabt! Während auf dem Festland die Musiktheorie allmählich die Art des musizierens veränderte und bestimme Techniken verdrängte, hielten mittelalterliche Gesangstechniken (Quintparallelen) auf Island Bestand.
Auf „Vetrarsól“ gibt es drei Stücke, die diese alten Techniken verwenden. Das älteste davon ist das 800 Jahre alte „Heya Himna Smirdur“ von 1206. Das Arrangement, das wir singen ist allerdings aus den Siebzigern.
In den vergangenen 17 Jahren als Band sind wir ein bisschen Botschafter für diese Art isländischer Musik geworden.
Viele Metal Fans sind Fans von Arstidir. Warum?
Ich habe da eine Theorie, warum unsere Musik Metalheads (ich bin ja auch einer) so anspricht: Viele dieser mittelalterlichen Tonalitäten haben starke Gemeinsamkeiten mit Heavy Metal.
Quintparallelen sind beispielsweise auch die Grundlage für Power-Chords. Natürlich hat uns auch die Kollaboration mit Anneke van Giersbergen geholfen. Und wir waren auch eine Zeit lang bem Metal-Label Seasons Of Mist.
Und eure damalige Tour mit Pain of Salvation nicht zu vergessen! Ich war damals in Essen.
Oh, du warst im Turock! Das war die beste Show!
Es war eine der besten Shows, die ich je gesehen hatte. Alle Leute dort waren wegen Pain Of Salvation da. Niemand kannte Arstidir. Als ihr dann angefangen habt zu spielen, wurde es ruhig im Saal und ganz viele Leute begannen zu weinen. Es war so verrückt! So emotional.
Ja. Das ist das Ding mit den Metalheads. Es sind einfach die tollsten Menschen der Welt. Das meine ich ernst!
Auf Island spielen wir auch auf Metal-Festivals. Und das sind die einzigen Festivals ohne Gewalt, ohne sexuelle Belästigungen. Es ist einfach alles sehr freundlich. Die ganze Härte steckt in der Musik, in den Looks, im Geschreie. Aber innen sind wir weich.
Und Metalheads hören Musik anders als viele andere. Weil man Metal nicht nebenbei hören kann. Man muss sich darauf einlassen. Metalheads sind Musikliebhaber. Und Liebhaber sind Emotional.
Wenn die Musik auf „Vetrarsól“ euch seit eurer Kindheit begleitet, dann muss diese für euch ja auch emotional sehr aufgeladen sein. Wie schafft ihr es beim performen so cool und gelassen zu bleiben? Wenn ich bei Arstidir spielen würde, müsste ich wahrscheinlich jeden Abend weinen.
Wenn du beim spielen weinst, dann bedeutet das, dass du die Musik wirklich fühlst. Das ist toll! Wenn du auf Tour bist und die Stücke jeden Abend spielst, dann darfst du nicht abstumpfen – du musst dich Abend für Abend in die Musik hineinfinden.
Jetzt spielt ihr „Vetrarsól“ bereits seit ein bis zwei Jahren. Habt ihr denn in dieser Zeit auch bereits wieder begonnen, an eigener, neuer Musik zu schreiben?
Ja, haben wir! Das zehnte Arstidir Album ist bereits in Arbeit und wir planen auch ein weiteres Acapella-Album, das wahrscheinlich noch vorher erscheinen wird. Die Ausrichtung des neuen Albums geht etwas Back to The Roots mit vielen traditionellen Elementen.
Probt ihr denn immer noch in dem alten Kraftwerk?
Das wurde gerade geschlossen. Wir waren dort für fast 12 Jahre und haben so viel Musik dort aufgenommen. Letzten Winter sind allerdings die Rohre eingefroren und geplatzt. Jetzt gibt es dort keine Heizung mehr. Als Heizkraftwerk ist es so gebaut, dass die zwei grossen Kohleöfen Wärme nach außen abgeben – aber nicht nach innen. Es ist drinnen dann teils kälter als draußen.
Die Kosten für die Reparatur sind der Stadt zu hoch – vor allem dafür, dass nur eine einzelne Band das Gebäude nutzt. Deswegen hat die Stadt es nun verkauft.
Wo probt ihr jetzt?
Ich habe jetzt mein eigenes Studio. Es ist in einem alten TV-Studio. Daniel hat auch ein eigenes. So kann jeder für sich aufnehmen. Für ein Album mieten wir uns dann gezielt auch andere Studios an. Zum Beispiel für Piano- oder Streicher – Aufnahmen, um besondere Raumklänge zu finden, weil Räume so viel Einfluss auf den Klang haben. Wann immer wir können, versuchen wir deshalb auch in Kirchen zu spielen.
Oder Bahnhöfen (alle lachen)
Ja, genau. Und jeder, der eine gute Dusche hat, weiß, dass die Stimme dort besser klingt.
Wo hat der Klang von Arstidir seinen Ursprung?
Nun, als Musiker kannst du alles was du durchlebst in Form von Musik kanalisieren. Es mag wie ein Klischee klingen, aber das Leben schreibt dafür die Musik. Wenn ich Musik komponiere, ist das nicht eine Reihe von Noten. Ich versuche eine Emotion zu vertonen. Ich schreibe aus einer Emotion heraus zuerst den Text und die Melodie kommt dann von alleine. Es beginnt mit dieser einen Emotion und dann baut sich alles ganz von alleine auf. Und die Emotionen kommen, weil wir in unseren Leben viele Dinge erleben. An guten und schlechten Tagen. Für Arstidir spielt auch Melancholie und Wehmut (spricht Ragnar in fehlerfreiem Deutsch) schon immer eine große Rolle. Das ist auch typisch Isländisch. Im Gegenteil zu den großen Teilen des restlichen Europas ist der Großteil isländischer Musik Moll-basiert. Selbst die von Björk.
Und was denkst du, warum ist das so?
Ich habe eine Theorie. Das Leben auf Island in den letzten Jahrhunderten war hart. Es gab Vulkanausbrüche, Dürre, Kälte, Erdbeben. Das Land ist wenig fruchtbar. Die Musik ist ein Abbild dieser Geschichte und auch der harten, rauen Landschaft – die aber auch wunderschön ist.
Tanja hat sich davon dieses Jahr einen ganz besonderen Eindruck verschafft!
Tanja: Ja, ich war im August auf Island. Ich war dort in der Natur unterwegs und wanderte von Isafjord bis Holmavik. Wegen starkem Regen mussten wir einen ganzen Tag im Zelt verbringen. Doch am Ende war es einer der besten Tage, denn ich habe den ganzen Tag eure Musik gehört und richtig spüren und fühlen können.
Toll! Es ist sehr harsch dort. Aber auch wirklich majestätisch. Diese Natur ist eindeutig Bestandteil der musikalischen Seele von Arstidir.
Das hört man auch eurer Musik an! Vielen Dank für deine Zeit! Wir freuen uns schon auf das Konzert und hoffen, dass nicht wieder 11 Jahre bis zum nächsten Interview vergehen!
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