Anneke Van Giersbergen

Verfasst am 19. Mai 2012 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 3.040 views

Alles ändert sich…

Der Name Anneke Van Giersbergen ist für viele untrennbar mit The Gathering verbunden. Klar – schließlich haben die Holländer jahrelang Maßstäbe in einem Genre gesetzt, aus welchem sie schließlich selbst ausgebrochen sind. Bis heute (selbst nach dem Ausstieg von Anneke) lieferte die Formation nie eine schlechte Platte ab. Genau wie Frau Van Giersbergen. Diese steht nämlich schon seit Jahren auf eigenen Beinen und hat jüngst mit „Everything Is Changing“ ihr viertes Solo-Album veröffentlicht.

Für mich persönlich war es eine große Ehre, die bezaubernde Sängerin vor ihrem Konzert im Aschaffenburger Colos-Saal zu interviewen, denn die Musik von Anneke Van Giersbergen begleitet mich nahezu durch mein ganzes Leben und alle damit verbundenen Etappen, Situationen und Stimmungen und nimmt (früher und heute) einen wichtigen Teil in meinem Leben ein.
Jemandem, der die Sängerin nicht kennt beschreibe ich es auch gern so: Jeder plastische Körper besitzt eine ganz bestimmte Eigenfrequenz, mit der man diesen zum Schwingen anregen kann. Die Stimme der Niederländerin besitzt die Fähigkeit, mein Herz und meine Seele in Bewegung zu versetzen.

Metal-Aschaffenburg: Hallo Anneke! Es freut mich wirklich sehr, dass es mit dem heutigen Interview geklappt hat. Deine letzte Tour ist schon eine ganze Weile her.

Anneke: Ja, in der Tat. Ich weiß nicht genau – aber es sind sicher schon zehn Jahre. Mit The Gathering durch Deutschland zu touren hat immer viel Spaß gemacht und wir waren auch einige Male hier unterwegs. Solo muss ich mir das alles natürlich erst wieder erarbeiten. Obwohl es sich für mich so anfühlt, als ob ich nie weg gewesen bin.

Lass uns zuerst kurz über dein neues Album „Everything Is Changing“ sprechen.
Es ist das erste Album, auf dem einzig und allein dein Name steht, ein Stück („My Boy“) ist für deinen Sohn Finn geschrieben. Macht es das auch zu deinem persönlichsten Album bisher?

Ja – ganz ehrlich. Aus mehreren Gründen. Ich bin bis jetzt schon sehr stolz auf das, was ich bisher erreicht habe. Und es wächst stetig weiter. Genau wie meine Fähigkeiten zu schreiben und zu produzieren. Es ist immer ein laufender Prozess. Genau wie die Entscheidung meinem Solo-Projekt zuerst einen Bandnamen zu geben. Aber das konnte kaum jemand nachvollziehen. Außerdem war der Name Agua de Annique nicht wirklich griffig und viele Leute wussten nicht, dass ich dahinter stand. Es war dadurch anfangs schwierig, meinen Namen wieder bekannt zu machen. Nun hat es vier Alben gebraucht, um den Namen Agua de Annique komplett über Bord zu werfen.
Dann wurde mir schnell klar, dass ich ab jetzt wirklich auf eigenen Beinen stehe. Ich kann mich nicht mehr hinter einem anderen Namen oder einem Konzept verstecken. Die Konsequenz, zuerst einen Bandnamen zu haben und diesen dann zu verwerfen ist für mich sehr spannend. Denn alles, was ich jetzt mache, fällt auf meinen eigenen Namen zurück. Wenn es gut ist – prima! Wenn es nicht gut ist – dann bin ich schuld.

Also war die Entscheidung für dich zwar schwer, aber richtig?

Ja. Jetzt bin ich aber sehr stolz darauf. Jetzt ist es einfach nur noch Anneke – so wie ich bin.

Über den Titel habe ich lange nachgedacht. Wenn sich für dich „alles ändert“ – gibt es trotzdem eine Konstante in deinem Leben?

Eine gute Frage! Ja! Absolut. Zuerst natürlich ich. Ich als Person. Ansonsten ändert sich in meinem Leben wirklich fast alles – jederzeit. Man wächst auf, man lernt dazu. Die Menschen im Umfeld ändern sich.
Eine weitere Konstante ist die Liebe. Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Eltern noch leben, sehr glücklich darüber, dass ich Rob (Snijders, Ehemann und Drummer der Band, Ex-KONG – Anm. v. (mk)) und Finn schon so lange in meinem Leben habe. Aber all das kann sich auch ändern. Die ganze Welt um uns herum ändert sich stetig. Und: sie ändert sich heutzutage sehr schnell.
Nimm z. B. die schnellen  Klimaveränderungen. Wechsel in der Politik – so wie momentan in Holland.
Ich meckere jedoch nie über solche Veränderungen. Nur Veränderungen sorgen dafür, dass sich Dinge verbessern können, neue Wege beschritten werden können. Man muss nur seinen Weg darin fortsetzen. Also ich z. B. meinen Sohn weiter aufziehen, meine Musik weitermachen. Wenn man seinen Weg konsequent weitergeht, kann man die stetigen Veränderungen als Rückenwind verwenden, um Dinge zum Guten zu lenken.
Wenn man sich nur zurücklehnt und sich darüber beschwert, dass sich ständig alles verändert, dann wird einen die Trägheit besiegen.
Natürlich ist es für mich einfach, so etwas zu sagen, denn mein Leben hat eine positive Aussicht. Es gibt Menschen, die es wesentlich schwerer haben. Aber: Man schafft sich die Umgebung für sein Leben selbst. Und ich habe hart für das Meine gearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass ich glücklich mit dem bin, was ich habe.
Wer eine negative Sichtweise auf die Welt hat, zieht auch schnell negative Dinge an.

Diese positive Sichtweise gefällt mir schon immer in deiner Musik und man hört sie vielen deiner Songs auch an. Z. B. bei „Feel Alive“. Darüberhinaus gibt es auf „Everything Is Changing“ aber auch einige traurige, wehmütige Stücke wie z. B. „1000 Miles Away From Home“.

Ja. Bei diesem Stück war ich gerade mitten in der Songwriting-Phase – und tatsächlich weit weg von Zuhause. Es ist ein ziemlich romantischer Song, der auch davon handelt, wie es ist in so vielen unterschiedlichen Städten der Welt unterwegs zu sein. Ich mag Melancholie. Melancholie ist eigentlich ein eher düsteres Gefühl, aber man kann jederzeit daraus ausbrechen.

Bekommst du auf Tour schnell Heimweh?

Nein, zum Glück nicht, denn ich habe ja immer Rob und Finn bei mir. Ich bin nicht so stark an mein Zuhause gebunden. Wenn ich – wie jetzt – hier sitze und ich mich wohlfühle, dann reicht mir das schon, um glücklich zu sein.

Sprich: Home is where my heart is?

Yes! And home is where Rob and Finn are! (lacht)
Nach ein paar Wochen auf Tour freue ich mich aber natürlich auch wieder auf meine Freunde und meine Eltern Zuhause.

Anneke, du hast bereits mit vielen Künstlern zusammengearbeitet: Ayreon, Damian Wilson, Moonspell, Devin Townsend, Within Temptation, Farmer Boys, Garm von Ulver, Napalm Death, und Danny Cavanagh von Anathema. Gibt es noch Künstler, mit denen du unbedingt zusammenarbeiten willst?

Ja, die Liste hört sich recht imposant an. Das Schönste daran ist aber, dass viele davon wirklich meine Freunde sind, mit denen ich schon lange zusammenarbeite. Am stolzesten bin ich auf die Kollaboration mit Devin Townsend – ich habe so viel von ihm gelernt.
Es gibt aber tatsächlich noch drei Sänger, mit denen ich wahnsinnig gerne zusammenarbeiten würde. Es sind Maynard von Tool, Chino von den Deftones…

Chino, ehlich?

(begeistert) I love him!
…und: Mike Patton (Faith No More, Mr. Bungle, Peeping Tom –Anm. v. (mk)).
Als ich anfing Metal zu hören, war er der erste Sänger, der mehr konnte als nur brüllen oder schreien. Er hat eine wahnsinnig gute und enorm vielseitige Stimme.

In der Tat! Ich finde ihn auch großartig.

Ich habe mich aber bis jetzt nie getraut, einen der Drei zu fragen. Weil ich auch nicht genau weiß, in welcher Form. (grinst)

Devin haben wir eben schon erwähnt. Du wirst auch auf seinem nächsten Album wieder singen. Es wird gut, stimmt’s?

(laut) Yes!
Es wird… (überlegt kurz)… Es wird ein Klassiker! Aber nicht nur, weil ich darauf singe. (lacht)
Es wird heavy as hell und gleichzeitig sehr melodisch. Es gibt sogar Gospel-Chöre. Devin ist ein absolutes Genie darin, solche verschiedenen Einflüsse und Sounds zu verbinden.

Stimmt. Ich glaube manchmal aber, das Devin einfach zu viele Ideen für diese Welt hat.

Ja, absolut! (lacht)

Du hast im vergangenen Jahr auch an zwei ungewöhnlichen Projekten gearbeitet. Zum einen hast du an einem holländischen Kindermusical mitgewirkt, zum anderen hast du für den holländischen Freizeitpark Efteling gearbeitet. Wie kam es denn dazu?

Nun, ich kenne denjenigen, der für den Park verschiedene Soundtracks komponiert (Rene Merkelbach, holländischer Songwriter und Produzent – Anm. v. (mk)) und er benötigte für den Score einer Live-Show (Raveleijn – Anm. v. (mk)) eine Frauenstimme.
Du kannst dann dort jemanden beim Spielen zusehen und gleichzeitig meine Stimme hören. Das ist wirklich toll! (freut sich). Mein Sohn saß in der Show völlig erstaunt neben mir und meinte: Hey das bist ja du! (lacht) Es ist wirklich schön.

Kann ich nur bestätigen. Wer einmal in Tilburg oder der Nähe von Tilburg ist, sollte auf jeden Fall einen Abstecher nach Efteling machen!

„De Beer Die Geen Beer Was“ (OT: „The Bear That Wasn´t“; Frank Tashlin – Anm. v. mk)  ist ein Buch aus den Vierzigern. Es geht – in Kurzfassung (lacht) – um einen Bären, der seine Identität verliert und sie schließlich wieder zurückgewinnt. Es ist ein Buch, das sowohl für Erwachsene und für Kinder ist. Man kann daraus lernen, wie man sich seine Identität in dieser verrückten Welt bewahrt. Ein schönes Buch. Wir haben das komplette Bühnenstück geschrieben und ich musste sogar etwas schauspielern. Es gibt dazu auch ein Album – allerdings ist es komplett in holländisch gesungen. (grinst)

Was in meinen Ohren manchmal ganz witzig klingt.
Vielen Dank für das Interview, Anneke!

Nichts zu danken!

www.AnnekeVanGiersbergen.com

(mk)

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